Krisen managen statt verdrängen!
Warum es in der Krise wichtig ist, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern die Ärmel hochzukrempeln… wurden in der Hamburger Gerhofstraße die Kampfhandlungen eingestellt.
In der Krise sind (fast) alle gleich! Denn Krisen folgen einem klaren Reaktionsmuster – nicht nur auf Seiten der Medien, sondern vor allem auch in der eigenen Organisation. Wer dieses Muster kennt, kann es nicht nur durchbrechen, sondern auch bei der Bewältigung der Krise zu seinem Vorteil nutzen.
Grundsätzlich gehört eins vorausgeschickt: Gemeinnützige Organisationen und Stiftungen arbeiten in der Kommunikation mit ihrer wichtigsten Währungen überhaupt – mit Vertrauen!
Als Spender, Unterstützer oder vielleicht auch nur Interessierter muss ich das Vertrauen haben, dass eine Organisation mit bestimmten Zielen in der Lage ist, meine Unterstützung, mein Geld so zu verwalten und zu verteilen, dass es etwas bewirkt. Und natürlich passieren dort auch mal Fehler! Wichtig ist aber dann, dass die Organisation dann schnell, kompetent und vor allem glaubwürdig reagiert.
In der Regel gibt drei Auslöser einer Krise, über die man als gemeinnützige Organisation oder Stiftung Bescheid wissen muss, damit man sich darauf vorbereiten kann.
Die plötzliche Krise
Die Krise kam über Nacht. Kurz vor Feierabend hatte der Referent einer Stiftung gegen Alkoholmissbrauch auf der Facebook-Seite einen humorvollen Post veröffentlicht, in dem er Bezug auf den SPD-Politiker Martin Schulz nahm. Schon am nächsten Morgen quoll sein Facebook-Konto über mit wütenden Beiträgen von Menschen, die seinen Post weder humorvoll, noch angemessen fanden. Der Shitstorm gipfelte drei Stunden später in diversen Anfragen von Journalisten, die alle einen Skandal witterten. Das ist eine Situation, wie sie jeden Tag in jeder Organisation passieren kann und passiert.
Die angekündigte Krise
Es ist kein Geheimnis, dass bei großen Mineralölkonzernen für den Fall einer Ölpest verschiedene Szenarien existieren, wie man mit Medien, Opfern und der Politik umgeht. Es gibt sogar ausgefeilte – und tatsächlich streng geheime – Krisenpapiere, die detailliert die Vorgehensweisen im Fall der Fälle beschreiben.
Aber wie sieht es bei der in vielen Vereinen organisierten Jugendorganisation aus? Ist es abwegig, dass es in Zeiten von #meetoo und der öffentlichen Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in Organisationen auch hier zu Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch in der Geschichte der Jugendorganisation kommen könnte? Oder ein ganz anderes Szenario: Was für Pläne greifen, wenn ein Mitarbeiter Spendengelder veruntreut? Wie gut sind also Stiftungen und gemeinnützige Organisationen auf eine Situation und Probleme vorbereitet, mit der sie in ihrem Tätigkeitsfeld rechnen können, vielleicht sogar müssen? Immer wieder zeigen Fälle in Bildungseinrichtungen, aber auch bei hochangesehenen Stiftungen: wenig bis gar nicht!
Die Leiche im Keller
Natürlich haben nicht alle VW-Mitarbeiter vorher von der Diesel-Affäre gewusst, es war nur ein „kleiner“ Kreis von über hundert Mitarbeitern – genug offenbar, um auch die Konzernspitze einzubeziehen. Die Schuldfrage werden Gerichte klären müssen, Fakt ist aber: In der Regel kennen die Verantwortlichen ihre „Leiche im Keller“ – aber nicht immer hilft das weiter. Als beim ADAC-Magazin eine gefälschte Umfrage zum „Lieblingsauto der Deutschen“ ruchbar wurde, musste der Kommunikationschef gehen. Und auch bei der namhaften Stiftung Menschen für Menschen– Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe dauerte es Monate, um die öffentlichen Korruptionsvorwürfe eines Großspenders zu entkräften, die vorher schon lange bekannt gewesen waren.
Krisenphasen gleichen der Trauerbewältigung
Woran liegt die schlechte Vorbereitung, obwohl man doch bei allen Auslösern eigentlich schnell und effizientes Krisenmanagement einsetzen könnte?
Gerät eine Organisation eine Krise, folgen verschiedene Krisenphasen und Reaktionsmuster, die nach meiner Erfahrung denen der Trauerbewältigung sehr ähnlich sind und ein schnelles Krisenmanagement schwierig machen.
Das Problem ist, wenn zu der eigentlichen Krise im Haus (Spendenskandal, Korruptionsvorwürfe) nun auch noch der Druck von außen kommt. Als erstes entsteht eine Situation der Überforderung, in der sich die Betroffenen häufig fragen: Warum wir? Damit einher geht auch die Tendenz, die Krise einfach nicht wahr haben zu wollen. Unvergessen der Fall eines Stiftungs-Vorstands, der trotz Hausdurchsuchung und Anklageschrift bis zum Schluss auf die moralische Schuldlosigkeit seiner Organisation pochte. Das führt schlimmstenfalls dazu, den Kopf in den Sand zu stecken und die „Salami-Taktik“ einzusetzen: Immer nur so viel verraten, wie der Journalist schon selber herausgefunden hat. Frei nach dem Motto: Bloß nichts preisgeben, was nicht schon bekannt ist, um sich nicht selber bloßzustellen. Ein Tipp: Wer sich in dieser Situation befindet, der ist schon bloßgestellt!
Wer hat uns das eingebrockt?
Nach der Überforderung kommt die Verzweiflung, oft verbunden mit der Frage: Und was machen wir jetzt? Problematisch: Die Angst vor dem Versagen führt in dieser Phase dazu, dass alle Szenarien nur negativ bewertet werden und selbst gestandene Führungskräfte sich scheuen, Entscheidungen zu treffen – in einer Krise, die schnelles Handeln erfordert, ein fataler Fehler. Denn häufig richtete sich die Organisation jetzt erstmal nach innen statt nach außen und beschäftigt sich in ihrer Wut mit der Schuldfrage: wer hat uns das eingebrockt? In dieser Situation eine absolut zu vernachlässigende Frage, denn jetzt sind zwei Faktoren entscheidend: schnelles Handeln und die Zeit! Denn ich muss sicher und glaubwürdig kommunizieren zu können. Und: Ich darf mich nicht (von den Medien) zum Getriebenen machen, sondern muss vom Reagieren schnell ins Agieren kommen.
Ärmel hochkrempeln statt Kopf in den Sand
Zuerst einmal gilt es, die Grundregeln der Krisenkommunikation zu kennen, mit denen man die Krise benennt, einordnet und dann reagieren kann.
- Wie ist die Situation einzuschätzen?
Ob Shitstorm oder anonymer Brief – wichtig ist, die Lage sofort und richtig einzuschätzen, auch mit Blick auf die Medien. Man muss die Gesetzmäßigkeiten und Kriterien kennen, nach denen Journalisten arbeiten. Aktualität, Exklusivität oder Regionalität sind solche. Viele Medien beobachten sich gegenseitig, auch das kann eine Berichterstattungswelle auslösen.
Zur Einschätzung muss man sich erst mal einen Überblick verschaffen – und sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Denn tatsächlich können in dieser Situation Berater aus der Distanz oft besser die Lage einschätzen als Verantwortliche in der Stiftung, die sich in dieser Situation oftmals das erste Mal befinden und möglicherweise auch ganz anderen Befindlichkeiten ausgesetzt sehen und sich heillos verheddern. Dafür braucht es aber zwingend den nächsten Punkt:
- Was genau ist passiert? Welche Fakten liegen auf dem Tisch?
Wichtig: Erst wenn man die ganze Geschichte von allen Seiten kennt, kann man auch richtig und authentisch reagieren. Notfalls mit einer öffentlichen glaubwürdigen Entschuldigung. Die Angst vor einer wie auch immer gearteten Enthüllung ist immer ein schlechter Berater.
Deshalb gilt: Alle Entscheider an einen Tisch oder in einen sogenannten „War Room“, um auf Basis der dann vorliegenden Fakten erste schnelle Entscheidungen zu treffen: So entsandte der WWF, der nach einer WDR-Reportage über Mauschel-Geschäfte in Brasilien in die Schlagzeilen geriet, Sonderfahnder und der ADAC beauftragte (öffentlichkeitswirksam) externe Spezialisten. Erst wenn man alle Fakten kennt, kann man auch handeln!
- Die Strategie: Was wollen wir mit welchen Mitteln erreichen?
In einer Krise ist es wichtig, die Kontrolle über eine Situation zu bekommen. Das bedeutet, Risiken und Chancen zu analysieren, aber auch zu antizipieren, was als nächstes kommen kann. Diese Taktik muss langfristig einer Strategie folgen, alles andere macht keinen Sinn. Denn: Wer in einer Krise nur reagiert, hat schon verloren.
Hier steht an erster Stelle die Frage: Wie sehen unsere Botschaften in der Krise aus? Mit welchen Maßnahmen stelle ich die Glaubwürdigkeit wieder her und erneuere das Vertrauen in meine Organisation, das eventuell in der Krise verloren gegangen ist?
Ziel muss sein, kurzfristig auch die Sicht der betroffenen Organisation zu dem Fall in der breiten Öffentlichkeit darzustellen, um mittelfristig das Vertrauen wiederherzustellen und langfristig den Ruf zu sichern. Auf Grundlage der strategischen Überlegungen wird eine interne Reaktionsplanung erstellt. Diese Planung dient als Grundlage für die Kommunikation.
Erst dann folgt der detaillierte Maßnahmenplan, in dem festgelegt ist, welche Botschaften über welche Kanäle versendet werden.
Angaben zum Autor in einem kurzen Satz:
Jörg Schumacher ist Absolvent der Springer Journalistenschule und war elf Jahre bei BILD, später Blattmacher bei der Bauer Media Group und Chefredakteur im Jahreszeitenverlag. Seit 2011 arbeitet Jörg Schumacher als Kommunikationsberater für gemeinnützige Organisationen, als Moderator und als Referent. Email: j.schumacher@neues-stiften.de , weitere Information zum Krisenmanagement finden Sie unter www.neues-stiften.de
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